Das Collegium Jenense
Universitäten gehörten neben den geistlichen Einrichtungen zu den ältesten, heute existierenden Institutionen Europas. Mit den Universitäten Bologna (1088), Paris (Mitte 12. Jh.) und der Oxford Hochschule (letztes Drittel 12.Jh.) begann die Herausformung einer europäischen „Gelehrtenrepublik“, die maßgeblich Einfluss auf unsere Kultur und Zivilisation bis in die Gegenwart nahm.
Die ältesten Universitäten im heiligen Römischen Reich deutscher Nation - Prag und Wien - wurden im 14. Jahrhundert gegründet. Rasch folgten Heidelberg und Köln. Sie verfügten über päpstliche und kaiserliche Privilegien. Am Ende des 15. Jh. setzte ein Prozess ein, der durch die Veränderung in der herrschaftlich-territorialen Entwicklung im Reich die Gründung von Landesuniversitäten in Gang setzte. Hinzu kamen die konfessionellen Spaltungen in der Reformationszeit, die nun eine regelrechte Schwemme an protestantischen Neugründungen bis ins 18. Jahrhundert nach sich zogen. Am Beginn konfessionell bestimmter Universitätsgründungen stand 1548 die von den Ernestinern in Jena initiierte Hohe Schule. Infolge der Niederlage des protestantischen Schmalkaldischen Bundes im Krieg gegen den Kaiser und seine Verbündeten 1547, verloren die Ernestiner ihre Kurwürde und damit den Kurkreis nebst der Wittenberger Universität. Nach Übersiedlung des Hofes nach Weimar entschieden sich die Herzöge, ein neues universitäres Zentrum zu schaffen. Mit dem alten Dominikanerkloster in Jena bot sich ein geeigneter Ort, der bereits zehn Jahre später nach der Erteilung des Universitätsprivilegs durch den späteren Kaiser Ferdinand I. umfassend umgebaut wurde. Dieser heute noch zum Teil erhaltene und über fast 500 Jahre durchgängig universitär genutzte Gebäudekomplex stellt ein einzigartiges historisches Ensemble universitärer Kultur dar, dass es Wert ist, umfassender erforscht und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden. Aus diesem Grund vernetzt das hier vorgestellte Projekt Forschergruppen aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten - der Universitätsgeschichte, der Geschichte der Frühen Neuzeit, der Ur- Frühgeschichtlichen Archäolohie, der Rechtsmedizin, der Max-Planck-Institute für evolutionäre Anthropologie Geoanthropologie sowie aus den unterschiedlichen Sparten der Restaurierung historischer Materialien.
So sollen nun auch alle Ausgrabungsfunde aus den Gebäuden und Gräbern der im Frühjahr 1945 zerstörten und von 1947-58 ausgegrabenen Teile des Collegiums archäologisch und anthropologisch ausgewertet werden. Dadurch ist nicht nur eine Beschreibung der Baumaßnahmen innerhalb des Collegiums möglich, sondern auch eine Rekonstruktion des studentischen Lebens in den ersten Jahren der Universität. Grundlage dafür sind neben den schriftlichen Überlieferungen vor allem die aufgefundenen Einrichtungsgegenstände aus den Wohnräumen der Studenten. Zudem kann anhand der Bestattungen eine Untersuchung der akademischen Sepulkralkultur des 16.-18. Jahrhunderts, sowie eine demographische Analyse von Universitätsangehörigen im Vergleich zur übrigen Bevölkerung Jenas erfolgen. Zusätzlich bieten die Analysen der Max-Planck-Institute die Möglichkeit, Hinweise auf die Migrationsbewegungen, sowie Infektionskrankheiten zu erhalten und die Ernährung der Bestatteten zu rekonstruieren. Technische Analysen der beteiligten Restauratorinnen ergänzt durch materialkundliche Untersuchungen an Keramiken und Bestimmungen der Holzarten von Epitaphen und Alltagsgegenständen sowie der aufgefundenen Tierknochen erlauben zudem Rückschlüsse auf die Distributionsnetzwerke und Handwerkstechniken der Jenaer Bevölkerung. Die Verknüpfung dieser Ergebnisse mit kunsthistorischen Untersuchungen der Professorngemälde der Universität, forensischen Analysen und Gesichtsrekonstruktionen sowie mit den schriftlichen Überlieferungen sollen schließlich die Identifizierung der Bestatteten und somit weitergehende personenbezogene Recherchen erlauben. Die so entstehenden multidimensionalen Perspektiven ermöglichen es, das bunte Spektrum universitäten Lebens vom 16. bis ins 19. Jahrhundert an diesem historischen Ort des „Collegium Jenense“ plastisch hervortreten und Universitätsgeschichte hautnah erleben zu lassen.